Der Schreckenswolf ist wieder da

Dire wolf Schreckenswolf

Im Frühjahr, irgendwo an einem geheimen Ort in den USA, tollen zwei weiße Wolfswelpen durch ein umzäuntes Waldstück. Die Luft ist noch kühl, das Gras feucht vom Morgentau. Die beiden Tiere sehen aus wie Wölfe – große, kräftige Wölfe. Doch laut dem Biotech-Startup Colossal Biosciences handelt es sich nicht um gewöhnliche graue Wölfe, sondern um genetisch rekonstruierte Nachfahren einer längst ausgestorbenen Spezies: des sogenannten Schreckenswolfs (Dire Wolf), der vor über 10.000 Jahren die Ebenen Amerikas durchstreifte.

Der Traum vom ausgestorbenen Tier

Die beiden Tiere, Romulus und Remus, sind fünf Monate alt. Ihr Fell ist dick, die Schultern kräftig, der Kopf breit – Merkmale, die an den prähistorischen Vorfahren erinnern sollen. Laut Colossal sei es gelungen, mithilfe von DNA-Editierung eine Art „Schreckenswolf 2.0“ zu erschaffen. Ob das genügt, um wirklich von einer Rückkehr zu sprechen, ist allerdings eine offene Debatte.

Ben Lamm, Gründer und CEO des in Dallas ansässigen Unternehmens, nennt das Projekt ein „Meilenstein der Genetik“. Sein Unternehmen will ausgestorbene Arten wieder auferstehen lassen – darunter auch der Dodo und das Wollhaarmammut. Jurassic Park lässt grüßen – mit dem Unterschied, dass keine fossile DNA direkt geklont wird. Stattdessen werden nahe Verwandte genetisch so verändert, dass sie aussehen und sich verhalten wie die Originale.

Von Zähnen und Zelllinien

Laut Colossal wurden bisher drei solcher „Schreckenswölfe“ geboren, insgesamt sollen es sieben oder acht werden. Neben Romulus und Remus kam im Januar eine dritte Wölfin namens Khaleesi zur Welt – benannt nach der Figur aus Game of Thrones. Die Tiere stammen zwar genetisch aus demselben Zellstamm, wurden jedoch von unterschiedlichen Muttertieren ausgetragen.

Beth Shapiro, wissenschaftliche Leiterin bei Colossal und Professorin an der UC Santa Cruz, leitete die genetischen Untersuchungen. Sie und ihr Team nutzten zwei fossile Überreste – ein 13.000 Jahre alter Zahn und ein 72.000 Jahre alter Gehörknochen –, um die DNA des Schreckenswolfs zu entschlüsseln. Die gewonnenen Daten übertrafen frühere Analysen um ein Vielfaches.

Das Ergebnis: Die Tiere gelten nicht mehr als urtümliche Verwandte des grauen Wolfs, sondern eher als Mischform zweier Wolfslinien, die vor etwa 3 Millionen Jahren miteinander verschmolzen. Insgesamt wurden 20 gezielte Genveränderungen an 14 Genen vorgenommen, um Merkmale wie Größe, Fellfarbe und Muskelaufbau dem Original anzupassen.

Ist ein Schreckenswolf ein Schreckenswolf, wenn er keiner ist?

Doch wo endet der graue Wolf und wo beginnt der Schreckenswolf? Lamm ist überzeugt: „Wenn es aussieht wie ein Schreckenswolf, sich so verhält und so gebaut ist – dann nennen wir es auch so.“ Andere Wissenschaftler sehen das differenzierter. Der Artbegriff ist in der Biologie fließend und wird nicht nur genetisch, sondern auch über das Verhalten und den ökologischen Einfluss definiert.

Was klar ist: Die Tiere sind beeindruckend. Mit einem Gewicht von 40 Kilo mit fünf Monaten übertreffen sie schon jetzt ihre grauen Vettern. Sind sie erst einmal ausgewachsen können die Schreckenswölfe bis zu 1,80 m lang werden bei einer Schulterhöhe von 90cm und bis zu 110 Kilogramm schwer werden. Und sie leben nicht nur in Gehegen – inzwischen befinden sich drei Tiere auf einem 2.000 Hektar großen Schutzgelände.

Von Welpen und wilden Ideen

Die Geburt der ersten Tiere war kein leichter Weg. Von acht trächtigen Hündinnen brachten nur drei gesunde Welpen zur Welt. Eine vierte starb nach zehn Tagen an einer Infektion. Eingesetzt wurden veränderte Blutstammzellen aus grauen Wölfen, die in Eizellen von Haushunden transferiert und von Leihmüttern ausgetragen wurden – ein aufwendiges Verfahren, aber laut Colossal effizienter und tierfreundlicher als herkömmliche Klonmethoden.

Neben dem medienwirksamen Schreckenswolf hat das Unternehmen auch vier stark gefährdete Rotwölfe geklont. Diese leben heute fast nur noch in Gefangenschaft. Durch die genetische Vielfalt der neuen Klone hofft man, die Population stabilisieren zu können. Die Methode basiert auf Blutentnahmen statt Gewebeproben – ein Fortschritt auch im Bereich der Arterhaltung.

Zurück in die Zukunft?

Wiederansiedlungen der Schreckenswölfe in freier Wildbahn sind laut Shapiro aktuell nicht geplant. Vielmehr will Colossal Aufmerksamkeit schaffen – für den Schutz lebender Wolfsarten. Denn Wölfe spielen eine wichtige Rolle im Gleichgewicht von Ökosystemen. Ihre Rückkehr in bestimmte Regionen hat nachweislich positive Effekte auf Flora und Fauna🔗.

Ob Colossals Schöpfungen wirklich als Rückkehr ausgestorbener Arten gelten können, ist fraglich. Doch darum geht es Lamm auch nicht unbedingt. „Popkultur verkauft sich gut“, sagt er. Und vielleicht reicht genau das, um das Interesse an gefährdeten Tierarten wiederzubeleben. Denn was am Ende zählt, ist nicht nur, ob es ein echter Schreckenswolf ist – sondern dass wieder jemand hinschaut.

Kaufen Sie sich doch Ihren eigenen Schreckenswolfschädel!